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Museen sind manchmal in den seltsamsten Gebäuden. So auch die „Aussichts- und Gedenkplattform zur Schlacht bei Wittstock 1636“ am südlichen Rand von Wittstock an der Dosse (ca. 80 km nordwestlich von Berlin), die sich in einem ehemaligen riesigen Wasserhochbehälter befindet.
Gewidmet ist das Museum der Schlacht bei Wittstock vom 4.10.1636 (greg. Kalender / 24.9. jul. Kalender) im 30jährigen Krieg (1618-1648). Damals trafen südlich vor den Toren der Stadt ca. 22.000 Mann kaiserliche und... weiterlesen
sächsische Truppen unter dem Oberbefehl von Feldmarschallleutnant Melchior Graf v. Hatzfeldt (1593-1658) und Kurfürst Johann Georg I. v. Sachsen (Haus Wettin, albertinische Linie / 1585-1656 / Kurfürst seit 1611) auf ca. 16.000 Mann schwedische Truppen unter dem Oberbefehl der Feldmarschälle Johan Banér und Alexander Leslie.
Obwohl zahlenmäßig deutlich unterlegen, widerstanden die Schweden den verbündeten Kaiserlichen und Sachsen in der stundenlangen Schlacht. Mit Einbruch der Dunkelheit setzten die Kaiserlichen und Sachsen ihre Angriffe nicht mehr fort und wollten sich im Schutze der Nacht vom Schlachtfeld zurückziehen.
Die Schweden setzten ihnen jedoch nach. Der Rückzug der Verbündeten endete am nächsten Tag im Chaos und mit einem Desaster. Die Schweden erbeuteten einen Großteil der feindlichen Artillerie, den Tross sowie die Kriegskasse der sächsischen Truppen, 19 Reiterstandarten, 127 Infanterie- und 5 Kavalleriefahnen.
Die in zeitgenössischen Berichten als außergewöhnlich grausam beschriebene Schlacht forderte ca. 3.000 Tote und 5.000 Verwundete, von denen viele noch ihren Verletzungen erlagen.
Zwar gibt es in der Alten Bischofsburg Wittstock bereits seit Jahren ein Museum des 30jährigen Kriegs, die Ausstellung im alten Wasserhochbehälter auf dem Bohnekamp beschäftigt sich allerdings mehr mit den Menschen, die in der Schlacht kämpften und starben.
2007 machten Archäologen ca. 750m südöstlich der heutigen Gedenkplattform einen europaweit einzigartigen Sensationsfund. Man stieß auf ein Massengrab mit den sterblichen Überresten von 125 in der Schlacht gefallenen Soldaten.
Kriegsgräber aus der Zeit vor 1850 sind selten, denn damals wurden die Toten in heute meist nicht mehr bekannten Massengräbern auf Feldern oder Wiesen verscharrt. Die Menschen waren damals froh, wenn sie die vielen Tote wegen der Seuchengefahr so schnell wie möglich beerdigen konnten. Soldatenfriedhöfe im heutigen Sinn waren damals nicht üblich.
Die Ausstellung im Wasserhochbehälter beschäftigt sich mit Einzelschicksalen von Soldaten, ihren Lebensumständen und mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Ausgrabung des Wittstocker Massengrabs.
Zur 2011 eröffneten Plattform auf der „Bohnekamp“ genannten Erhebung gibt es bloß eine Zufahrt: über den Bohnekampweg vom Kreisverkehr Rosa-Luxemburg-Str./Geschwister-Scholl-Str. (L14) aus. Ins Navi gibt man am besten „Bohnekamp 19“, denn die offizielle Adresse Bohnekampweg 1636“ verarbeiten vermutlich nur die wenigsten Navi‘s. Vom „Sie sind am Ziel“ bis zum Museumsparkplatz sinds dann noch ca. 300m. Vom Parkplatz führt ein Weg 300m bis zum bis Museumseingang.
Geöffnet ist die Plattform von April bis Oktober.
Neben der Plattform befindet sich ein Pavillon mit Kasse, Souvenirshop und Veranstaltungsraum. Der Eintritt ist mit 3 €uro (Ermäßigungen werden gewährt / Stand 2020) moderat.
Der Zugang zur Plattform ähnelt einem Bunkereingang, das fensterlose Betonrund im Innern auch!
Im Gebäude wird der Besucher erstmal mit verschiedenen Schlachten des 30jährigen Kriegs konfrontiert. Allerdings werden nicht Sieger oder Feldherren genannt, sondern die Zahl der Toten und Verwundeten.
Im Ausstellungsrund selbst werden dann Einzelschicksale, das leben und sterben der Soldaten beschrieben. Grundlage sind die Auswertungen der forensischen Arbeiten an den geborgenen Skeletten aus dem Wittstocker Massengrab. Ausstellungsstücke gibt es nicht – nur Texttafeln.
In der nüchterner Sachlichkeit und Grausamkeit der Worte sowie mit Fotos werden z.B. die Waffenwirkungen auf den menschlichen Körper beschrieben. Grundlage dafür sind die gefunden Knochen mit Spuren von Hieb-, Stich- und Schusswaffen.
Auch die Lebensumstände der damaligen Zeit mit Mangelernährung und fehlender medizinischer Versorgung konnten die Wissenschaftler aus den Skeletten ablesen.
Wie DNA-Untersuchungen ergaben, wurden in dem Massengrab Tote beider Kriegsparteien gemeinsam in 4 Lagen übereinander geschichtet, bestattet. Und es bewies auch, dass die Heere der damaligen Zeit auch aus Söldnern bestanden. Man fand ua. Tote aus Schottland, Finnland und den heutigen baltischen Staaten (schwedisches Heer) sowie aus verschiedenen deutschen Staaten, Österreich, Italien und Spanien (Kaiserliches und sächsisches Heer).
Eine namentliche Identifizierung der Toten war natürlich nicht möglich, denn im 17. Jahrhundert gab es noch keine Erkennungsmarken. Da man keine Ausrüstungs- und persönliche Gegenstände gefunden hat, geht man davon aus, dass die Toten geplündert und nackt, bestenfalls mit dem „letzten Hemd“ bekleidet, ins Grab gelegt wurden.
Und es wird sich um einfache Soldaten gehandelt haben, denn gefallene Offiziere wurden in örtlichen Kirchen und Kirchhöfen bestattet.
Dem mit 1,80m größten Toten, Individuum 71 genannt, wurde mittels Schädelrekonstruktion wieder ein Gesicht gegen. Der Anfang bis Mitte 20 Jahre alte Schotte litt seit der Kindheit an Mangelernährung und wies Spuren von Krankheiten (Verbogene Knochen wegen Vitamin-D-Mangel, Arthrose, Stomatitis, Sinusitis) auf.
In der Schlacht wurde der Soldat vermutlich zunächst durch einen Steckschuss in die rechte Schulter verwundet, erhielt dann im Nahkampf einen Hieb auf den Kopf, der den Schädel spaltete und einen weiteren Hieb oder Tritt ins Gesicht, der den Kiefer in 3 Teile zerbrach.
Obwohl schon schwer, wenn nicht sogar tödlich verwundet am Boden liegend, starb der Mann schließlich durch einen Dolchstoß in die Kehle.
Das sind die heute an Hand des Skeletts sichtbaren Spuren.
Wie die Toten im Grab lagen wird mit einer mehrteiligen Videoinstallation verdeutlicht.
In einem extra abgetrennten hat man das freigelegte Massengrab nachempfunden. Die Grabungsarbeiten sind textlich und mit Fotos dokumentiert.
Den Abschluss des Besuchs bildet die Aussichtsplattform auf dem Dach des Wasserhochbehälters. Von hier kann man wie ein Feldherr damals das Schlachtfeld von 1636 überblicken. Großzügige Informationen und Panoramen geben Auskunft über den Ablauf der Schlacht und die Stellung der Truppen in den verschiedenen Phasen des Kampfes.
Fazit: die wissenschaftlich nüchterne Beschreibung von Leben und Sterben damals hat bei mir einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen und hat mich erschaudern lassen.
Die Plattform ist somit nicht nur Museum und Informationszentrum sondern auch Gedenk- und Mahnort und erinnert daran, dass jeder Krieg zu jeder Zeit grausam und menschenverachtend ist – egal ob 1636 oder 2020![verkleinern]