Für mich ist New Yorker eigentlich der Inbegriff der 90er Jahre. Da tauchen gruselige Erinnerungen wieder aus längst zusedimentierten Hirnregionen auf… Synthetik-Hosen, die ersten Spaghettiträgertop-Modewellen – natürlich auch gerne Vollsynthetik, die damals ach so beliebten Fishbone-Klamotten – nur echt mit stylisher Gräte vorne rauf und noch viele weitere Grausamkeiten der Modewelt, die sich vermeintlich beliebig mit Buffalo-Plateauschuhen und Helly-Hansen-Marshmallow-Jäckchen kombinieren... weiterlesen
ließen… Ich kann nur inständig hoffen, dass diese modischen Vollentgleisungen auf immer und ewig im Textilorkus ruhen und nie als Wiedergänger erneut das Licht der Klamottenläden erblicken…
… Fünfzehn Jahre später stehe ich also wieder bei New Yorker, dieses Mal allerdings in der Tübinger Ausgabe und nicht in Hometown. Warum ich hier bin? Gute Frage… Ich boykottiere eigentlich den Kauf billiger Klamotten, aber nun muss ich plötzlich helle Shirts besitzen. Die hellste Farbe in meinem Schrankabteil für Shirts ist eigentlich Türkis – bei weitem nicht hell genug, um tropisches Krabbelgetier zu erkennen, bevor es sticht, kratzt oder beißt. Die zweite Anforderung an die Shirts ist, dass sie nichts sein sollten, dem man bei Kollateralschaden oder Verlust eine Träne nachweint. Dornen sind Dornen und bleiben Dornen – und die machen in ein schönes Shirt von Mexx exakt das gleiche Loch, wie in ein billiges Baumwollshirt… nur mit dem Unterschied, dass ich bei Mexx deutlich lauter fluche.
Der Tübinger New Yorker ist im Split Floor Stil gebaut… Viele Halbstockwerke mit vielen verschiedenen Abteilungen. Ich wusle hin und her und suche billige und tragbare Shirts, denn aussehen wie ein trächtiger Kartoffelsack will ich dann irgendwie doch nicht. Drei gleiche Baumwollshirts zu einem Kampfpreis von drei Euro das Stück (!?!?) nehme ich auf jeden Fall mit. Für den Preis hätte ich nicht erwartet, dass die Dinger auch nur irgendeine Form besitzen, aber sie passen erstaunlich gut und fühlen sich sehr bequem an. Weiß, Hellgrau und Pastelltürkis dürfen mit.
Auf meinem Weg durch die Halbstockwerke habe ich ihn dann hängen sehen. Bei der frisch eingetrudelten Bademode hing er so, als hätte er auf mich gewartet. Jetzt muss ich doch mal genauer gucken gehen… Ein schwarzer Neckholder in dezenter Spitzen-Optik, ein paar Perlen am Nackenbindeband. Hübsch! Die Größe ist schnell gefunden… Ab in die zugegebenermaßen enge und hakenarme Umkleidekabine, aus sämtlichen Lagen Klamotten schälen – jetzt weiß ich wieder, warum ich Bikinianprobe hasse. Und was soll ich sagen…? Er passt! Hervorragend sogar! … Und er erspart mir die Mitnahme eines teuren Bikinis, mit dem ich jetzt nicht unbedingt gerne in einen trüben Tümpel gestiegen wäre. Der Neckholder wandert nach erfolgreicher Rückpellung in die eigenen Klamotten mit zur Kasse.
Glücklich und zufrieden verlasse ich den New Yorker, bei dem man sich jedes Mal so fühlt, als würde man allein durch die eigene Präsenz das Durchschnittsalter der Kundschaft um mindestens fünf Jahre anheben. So schnäppchenmäßig der Einkauf auch war – bei mir erwacht da kein Belohnungszentrum im Hirn, das mich für den Billigeinkauf mit Hormonen dopt, sondern eher ein schlechtes Gewissen. In diesem Fall musste ich aber leider eine Ausnahme machen.
Der Laden ist so sauber, wie es Elektrostatik und Textilien eben zulassen. Ein paar überschaubare Fusseln in der Umkleidekabine, die vermutlich von den vielen Rein-Raus-Anproben in zig verschiedene Klamotten herrühren. Ein Aufzug macht den Laden begrenzt barrierefrei, denn die eng stehenden Klamottenständer sind sicherlich nichts für breite Rollis.
Von mir gibt es drei Sterne – ich kann mir der „Billig! Will ich!“ Geschichte einfach nix anfangen. Ich bin mal gespannt, ob die Shirts die Reise überstehen… :D[verkleinern]