30.06.2017
Stellt Euch vor, neulich haben wir eine echte alte Tussy besucht, die sonst von den meisten Leuten links liegen gelassen wird, weil sie achtlos an ihr vorüber fahren. Dabei ist sie kaum zu übersehen.
Und manch einer, der in seiner Unrast, weil er den lieben langen Tag nichts besseres mit sich anzufangen weiß, herum düst und dabei überall und nirgends war, wird sich jetzt ärgern, sie nicht auch besucht zu haben. Sie kann so viel Interessantes erzählen aus ihrem Leben als... weiterlesen
Vorgängerin der heutigen Seilfähre Tussy II zwischen Caputh und Geltow im Brandenburgischen nur wenige Kilometer von Potsdam entfernt.
Die betagte Dame feiert nämlich dieses Jahr ihren 75. Geburtstag. Seit 20 Jahren ist sie aber schon in Rente und seit 10 Jahren kann man sie besuchen, wenn auch durch einen Zaun vor Vandalen geschützt.
Folgendes hat sie uns erzählt:
Schon seit Jahrhunderten gibt es Fähren über die Havel an dieser Stelle und anders wo, da der Brückenbau damals wie heute aufwändig und teuer ist.
Zunächst erfolgte der Fährbetrieb mit einem Handkahn.
Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts versah Tussy´s Uroma den Fährdienst als hölzerne Wagenfähre , welche Anfangs mit Rudern und Stakstangen gesteuert wurde.
Mitte des 19. Jahrhunderts kostete eine Frachtfähre 3 Silbergroschen, 9 Pfennige, 1 Pferd 1 - 3 Silbergroschen, für Personen 8 Pfennige, aber die Bewohner Capuths zahlten nur 4 Pfennige für das übersetzen.
Später wurden Führungsseil, Spill und Kurbel installiert und ab 1928 wurde die Seilfähre sogar mit einem Motor ausgestattet.
Im Jahre 1942 wurde die Tussy I in der Brandenburger Wiemann - Werft gebaut und anstelle ihrer Vorgängerin Dienst gestellt, aber zu Ende des 2. Weltkrieges versenkt, um den herannahenden feindlichen Truppen den Weg über den Kanal zu erschweren.
Auch wenn sie nach Kriegsende zunächst durch einen handbetriebenen Kahn provisorisch ersetzt wurde, so erinnerte man sich doch ihrer, hob sie und setzte sie in der Genthiner Werft wieder in Stand.
Meistens hat sie stinkende Zweitakter namens Trabbi huckepack genommen oder Wartburg und Barkas.
So durfte sie ihren Dienst für den Sozialismus bis etwa 1997/ 98 versehen und ihre Tochter Tussy II übernahm das Geschäft, den etwa 50 Meter breiten Kanal zu überqueren.
Plötzlich war alles anders und auch die Autos wurden größer und bunter und stanken nicht mehr wie Zweitakter. Auch die Passagierzahlen nahmen zu. Die Leute kamen nun auch aus dem gesamten Berlin, manche sprachen Dialekte oder ganz andere Sprachen, aber alle hatten eins gemeinsam. Sie freuten sich über die kurze aber schöne Überfahrt.
Wie gerne hätte Tussy I das noch erleben dürfen. Zunächst gammelte sie gelangweilt herum und begann zu verrotten, wurde jedoch zum Glück nicht abgewrackt, sondern von Freunden liebevoll restauriert, so dass man sie heute betrachten kann und feststellt, ihre Tochter Tussy II ist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten. Viel geändert hat sich also an der Technik der letzten 75 Jahre nicht.
Hier noch die technischen Daten der Tussy I :
Baujahr 1942
Länge 17,41 m
Breite 5,74 m
Tiefgang 0,60 m
Leistung 7,5 PS
V/max 5 km/h
Tara 16,00 t
Brutto 23,60 t
Zuladung 220 Personen oder 8 PKW
Hersteller Wiemann Werft Brandenburg
Motor bis 1963 Deutzmotor mit Benzin
ab 1963 1H65 1 Zyl. Wasserverdampfer Diesel
Indienststellung 1942
Außerdienststellung 1998
Betreiber der Caputher Fähre waren seit 1942:
1942 - 1970 Hans Bastian
1970 - 1980 Klaus Grunow
1980 - 1998 Ursel Grunow
seit 1998 betreiben Ursel & Karsten Grunow die Tussy II.
Ein ausgewiesener, unbefestigter Parkplatz befindet sich von Caputh her kommend gleich direkt hinter der Tussy I am Weg "Zum Strandbad" , so dass man ganz entspannt einmal herum laufen und sie sich genau von allen Seiten anschauen kann.
Ich finde, dass die liebe alte Tussy es verdient hat, viel öfter mal besucht zu werden. ;-)
Ein paar Fotos von der gepflegten alten Dame habe ich ins Album gelegt.[verkleinern]