Es ist Montag und ich darf nicht in die Hagelhalle. Die zur Begutachtungsstelle für Hagelschäden umfunktionierte Werkshalle wird von einem älteren Herrn bewacht, der keine Gnade kennt. Na gut, ich bin zu früh… und zwar eine knappe halbe Stunde. Da mein Auto „gewaschen“ zum Termin erscheinen sollte und die Wartezeit bei der Waschstraße zwischen „sofort dran“ und Äonen schwankt, bin ich früh losgefahren und habe „sofort dran“ erwischt. Also bin ich jetzt hier – zusammen mit dem... weiterlesen
Einlasskontrolleur.
„Kann ich reinfahren?“
„Näh!“
„Äh… ich würde mich da am Rand hinstellen und noch eine Runde lesen.“
„Näh!“
Danach folgte etwas, das sich in etwa mit *keinstehenderverkehraufmwerksgelände* interpretieren ließ. Gut. Was also tun? Ein Blick in die Umgebung ließ Schlimmes erahnen. Es gibt Werkshallen aller Art und einen Kreisverkehr. Mist. Hagelhalle samt Türsteher befinden sich im Gewerbegebiet des Reutlinger Teilortes Mittelstadt… Nicht gerade der Nabel der Welt, aber frühere Durchfahrten weckten die ferne Erinnerung an einen kleinen Ortskern. Kaffee!
Schon nach kurzer Fahrt taucht rechts eine Volksbank auf, neben der eine Metzgerei liegt. Die geneigte Schwäbin – gut geschult in der Anatomie hiesiger Kleinorts-Strukturen – erkennt sofort, dass man sich hier in „Downtown“ befindet. Ein Bäcker sollte also nicht weit sein. Tatsächlich lächelt aus einer Seitenstraße eine übermannsgroße gelb-rote Brezel von einem Schild. Nix wie hin. Die Riesenbrezel entpuppt sich als Initialbuchstabe der Bäckerei Bayer. Viele parkende Autos künden von regem Betrieb.
Ich erwarte eine winzige Bäckerei und staune nicht schlecht, als ich in einer großen Bäckerei stehe, an die sogar noch eine Café angeschlossen ist. Bei meinem Eintreten sitzt die Dorfrentnerschaft hier bei Kaffe, Eis und Kuchen. Die kurze „Wer-isch-au-des“-Gesprächspause ist nach einem fröhlich gekrähten „Grüß Gott“ meinerseits sofort wieder beendet… Dann kann der Einkauf ja beginnen.
Ich ordere einen großen Kaffee zum Mitnehmen. Eigentlich sollte es ja dabei bleiben, aber die Auslage sieht zu lecker aus. Ein kurzes Wortgefecht zwischen Magen und Hirn endet mit der Kapitulation des Hirns und dem Kauf köstlich aussehender Wurzelbrötchen. Später zeigte sich, dass ich den Kauf nicht bereuen sollte. Die Brötchen sind wahnsinnig lecker und die schiere Menge verschiedener Backwaren in der Auslage erschlägt einen beinahe. Vermutlich könnte man hier drin vom Boden essen - alles ist strahlend sauber. Die freundliche Verkäuferin stellt meinen Kaffee auf einem Tisch ab, an dem ich noch mit Milch, Zucker und co. „nachwürzen“ könnte. Als Schwarztrinkerin verneine ich dankend.
Ich krähe „Ade“ und verlasse mit einem Humpen Kaffee und den Impulskauf-Brötchen den Laden, bevor der Magen auch noch die Warm-Theke neben der Brötchenauslage entdeckt.
Den Kaffee trinke ich in Ruhe am Auto. Die Qualität ist Standard, allerdings stellten sich gegen Ende des Kaffees aufgrund einer beachtlichen Menge Bodensatz sämtliche Nackenhaare auf. Den allerletzten Schluck führe ich einer Seebestattung im Gulli zu.
Nach der erfolgreich abgefeierten halben Kaffee-Stunde fahre ich zur Hagelhalle zurück. Der Türsteher erkennt mich, nickt und sagt in etwa *jetztkönnetseneifahra*. Das tue ich dann auch.
Dieser Bäcker ist wirklich toll. Daher auch trotz des Kaffee-Malheurs glatte fünf Sterne. Leider ist Mittelstadt dermaßen weit ab meiner üblichen Wegstrecken, dass ich nur selten hier her kommen werde. Wenn ich aber wiederkomme, lasse ich den Magen im Auto. Sonst kauft er nur wieder überflüssige Dinge ein.[verkleinern]