Wer eine nicht vom Lindauer Tourismus überrannte Gelegenheit sucht, in aller Ruhe eine der schönsten Postkartenansichten des Bodensees zu genießen und dabei auch ein wenig für seine Verdauung zu tun, dem sei folgender Beitrag nahegelegt.
Man stelle sein Fahrzeug in der Straße 'Im Wiesental', einer kleinen unbelebten Stichstraße von der Wackerstraße direkt an der DB-Haltestelle Aeschach-Hoyren ab, dort findet sich immer ein Platz und es kostet nichts (ich habe 15 Jahre dort gewohnt).... weiterlesen Anschließend läuft man auf einem landwirtschaftlichen Wiesenweg an den Bahngeleisen entlang bis zu einer geeignet erscheinenden Schienenunterführung. Ich halte mich deshalb so allgemein, weil sich die Auswahl ganz nach dem Streben des Verdauungsspaziergängers nach Komfort bzw. nach seiner Abenteuerlust richtet. Die von uns, meiner Freundin und mir stets bevorzugte Bahnunterführung mußten wir uns halt mit dem Giebelbach teilen und die hatte für Menschenfüße, die trocken bleiben wollten, nur einen glitschigen Fußsteig von einem Viertelmeter Breite übrig, der Löwenanteil gehörte dem entsetzlich faulig stinkenden Gewässer. Der einzige, der von uns dreien damit immer ein Problem hatte, war Benny, der Wauwau meiner Freundin. Und wir beide kriegten es mit seinen lautstarken Unmutsäußerungen in dem engen Tunnel.
Eigentlich gibt es nur eine generelle Vorgabe: Um zum Gipfel des Hoyerberges zu gelangen muß zunächst die eingleisige Bodenseegürtelbahn unterquert werden, anschließend die B31 und dann wieder die zweigleisige Bahnstrecke Lindau-München. Das Vernünftigste ist, den unübersehbaren Gipfel nicht aus den Augen zu verlieren und ansonsten beherzt mit irgendeiner Karte zu operieren. Natürlich geht es auch mit GPS, aber dazu wünsche ich jetzt schon viel Vergnügen beim Umweg über Bad-Schachen und Enzisweiler.
Hat man die Starkverkehrswege endlich überquert gelangt man auf den an der südlichen Bergflanke entlangführenden Weinbergweg (nomen est omen). Ist jetzt einen geeignet vergrößerter Ausdruck von Google-Maps, vorzugsweise das Satellitenbild, zur Hand kann man daraus entnehmen, ob man sich nun nach links oder nach rechts wenden muß um alsbald auf eine herrliche bergan führende Freitreppe zu stoßen. Es lohnt sich durchaus, sich alle 20 - 30 Stufen mal umzudrehen und sich die zunehmend freier werdende Aussicht reinzuziehen. Damit beugt man nämlich dem Herzinfarkt vor, der einen mit großer Wahrscheinlichkeit ereilt, wenn man sich erst ganz oben gen Süden wendet und die geballte Schönheit des Panoramas auf einen Sitz über einen hereinbricht.
Die nächste Querstraße und das Ende dieser Freitreppe heißt sinnigerweise Heldenweg. Aber dazu kommen wir noch. Nun setzt man seinen Gipfelsturm am praktischsten gleich halbrechts auf dem direkten Weg fort und gelangt so ziemlich unmittelbar zum Gruberschlößchen, bis in die 50er Jahre das dominierende und weithin sichtbare Bauwerk auf dem Gipfel. Das Bild im Kopf der location zeigt eine 150 Jahre alte Darstellung, deren Realität sowie die des dargestellten Panoramas bis heute weitestgehend unverändert geblieben sind. Am Standort des Porträtisten, Friede seiner Asche, befindet sich heute ein Hochbehälter des Lindauer Wasserwerks, in das seit Anfang der 1950er Bodenseewasser aus 55 m Tiefe vor Nonnenhorn vom dortigen Pumpwerk gelangt. Bis weit in die 80er Jahre, als es nicht mehr reichte und Quellwasser zugemischt werden mußte, hatte Lindau mit einer Härtestufe 3 von 21 das bei weitem weichste Wasser Deutschlands. Trinken? Bäääh! Waschen? Traumhaft! Duschen? Bitte nur 3 Tropfen Duschgel, sonst spült man den Schaum eine halbe Stunde lang ab.
Das heute dominierende Bauwerk ist der ebenfalls seit den 50ern bestehende Hochfrequenzumsetzer für Rundfunk und Telekommunikation, der sich nach Ausbau in den 80ern nun schon zum eindeutig nicht historischen Wahrzeichen des Lindauer Ortsteiles Hoyren gemausert hat und zur Markierung der AB-Ausfahrt 'Lindau' von der A96 noch vor dem Hinweisschild.
Das Gruberschlößchen war lange Zeit Herberge für ein Gourmetrestaurant mit Namen ‚Hoyerbergschlößle‘. Ich hab mir das mal geleistet obwohl ich bürgerliche Küche bevorzuge. Manches, was in dem 5-Gänge Menü untergebracht war, hätte ich lieber auf dem Teller gelassen, aber das ließ meine Volkszugehörigkeit nicht zu. Ich wurde sogar exakt satt, die Menge war wohl präzise errechnet, aber ich löhnte damals 150 Märker dafür, etwas, was ich bei meiner Grundeinstellung zum Leben und Genießen nicht unbedingt wiederholen muß. Ich googelte diese location sicherheitshalber nochmal raus, um keinen Mist zu erzählen und auf der Website stieß ich auf die Mitteilung 'an die verehrten Gäste, dass man das Lokal aufgegeben habe'. Und schon rumorten in mir wüste Spekulationen. Aber lassen wir das, es ist Vergangenheit.
Solange man seine von den Eindrücken betäubten Sinne noch so weit beisammen hat, dass man einen Fuß vor den anderen setzen kann, nimmt man am günstigsten die Treppe, die von der Terrasse direkt in Richtung Insel abwärts führt und an deren unterem Ende man wieder auf den Heldenweg stößt. Dort wendet man sich nach links und erreicht nach etwa 25 Schritten das 1910 von Lindauer Patrioten errichtete Bismarck-Denkmal, einen 10 m hohen Reichsadler aus Steinquadern mit einem Relief von Otto in seinen Klauen.
Je nachdem wie abenteuerlustig man noch ist läuft man jetzt auf dem Heldenweg wieder westwärts bis zur nun abwärts führenden Freitreppe, spult den Lochstreifen zurück und läßt ihn ab hier rückwärts durch die Lesestation laufen, dann gelangt man zielsicher zu seinem Fahrzeug. Alternativ läuft man jetzt den Heldenweg weiter in Richtung NO bis man auf die Hoyerbergstraße stößt, geht auf dieser steil talwärts zur Schönauer Straße und dort in Richtung des größten Verkehrslärms. Auf der in diesem Bereich noch trottoirbestückten Friedrichshafener Straße (B31 alt) wechselt man noch an der Kreuzung gefahrlos ampelkommandiert die Straßenseite und läuft dann auf die große Eisenbahnunterführung zu hinter der man nach links in die kleine Stichstraße ‚Priel‘ einbiegt. Mit etwas Glück und natürlich je nach Standort im Wiesental kann man jetzt sein Auto schon sehen.[verkleinern]
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