Wer Werbung für den Bäcker Steinhauser und seine Tresenmädels haben will, der hängt sich am besten in die Homepage, die ich mir erlaubt habe anstelle meines Vorschreibers einzutragen. Jetzt weiß ich wenigstens, wie man es anstellt, um golocal als Bewertungsplattform in Verruf zu bringen: Zwei Zeilen, keine wirklichen Informationen, Hauptsache 20 Punkte eingeheimst und schnell ‚reich‘ geworden ohne wirklich Leistung zu erbringen. Vielleicht mach ich es auch mal so um schneller ‚Kaiser‘ zu... weiterlesen werden.
Aber dann hätte ich ja keine Freude am Schreiben, nur ein permanent schlechtes Gewissen gegenüber meinen ‚Freunden‘ und den bewerteten ‚locations‘, die so um ihr Recht kommen, gebührend gewürdigt zu werden. Leider verhindert die Satzung der Plattform die rechtlich abgesicherte Meinungsäußerung mittels Beharken von marktwirtschaftlichen Flops und moralisch Kriminellen.
So, hier ist Ende für jeden, der keinen Spaß versteht, denn ab hier geht es mit Anekdoten neben der eigentlichen Sache weiter:
Wer kennt schon Diepoldshofen? Leutkirch mag ja noch angehen, aber die zahllosen Dörfer drumherum, die im Zuge der Kreis- und Gemeindereform in den 70ern des vorigen Jahrhunderts eingemeindet wurden, das ist zu viel zugemutet. Aber selbst da geht es NOCH kleiner: Die Familie bezog im September 2001 eine stillgelegte ökonomische Liegenschaft, so etwas hochtrabend die Bezeichnung des Eigentümers, in Hünlishofen, einem VORORT von Diepoldshofen.
Bei mir heißt sowas Bauernhof im Kuhkaff, ich bin halt altmodisch und pflege eine etwas derbe Allgäuer Ausdrucksweise. Wer will, kann es ja wieder mit Blümchen umkränzen, davon kriegt das 5-Häuser-Kaff trotzdem keine Infrastruktur. Als wir einzogen, gab es mit Ach und Krach Strom und Wasser. Das Abwasser mit allen Bestandteilen (vornehm genug?) wurde in einer erbärmlich stinkenden Senkgrube gesammelt, alle 4 Wochen abgepumpt und weggekarrt, weiß der Teufel wohin. Und selbst das Wasser hat eine eigene Geschichte: Unser direkter Nachbar ist ein begabter Wünschelrutengänger, ich habe es selbst erlebt. Diese Begabung hat sich in der männlichen Linie vererbt, sein Vater und er ertasteten zunächst für jedes Gehöft eine unterirdische Quelle, die nach Erbohren und Installation einer Pumpe zur Versorgung von menschlicher und viehischer Besatzung ausreichte. Dann fand er vor etwa 30 Jahren eher per Zufall beim Viehtreiben auf einer seiner eigenen Wiesen eine unterirdische Wasserader und bohrte sie an, zunächst um das Weidevieh versorgen zu können ohne mit dem Tankwagen fahren zu müssen. Doch zu seiner Überraschung kam das Wasser mit Eigendruck an die Oberfläche, und zwar in solcher Menge, dass eine zentrale Versorgung des Weilers nahelag. Die Bauern steckten die Köpfe zusammen, gründeten eine ‚gemeinschaftliche Wasserversorgung Hünlishofen und reduzierten damit die jählich anfallenden Kosten für die vorgeschriebenen Brunnenuntersuchungen auf insgesamt ein Fünftel. Herr G. bastelte aus Schrottmaterial einen hydraulischen Widder (http://de.wikipedia.org/wiki/Hydraulischer_Widder), gemeinschaftlich wurde ein Hochbehälter gemauert und Leitungen verlegt, schon war man modern, und das ohne permanenten Stromverbrauch. Sowas war natürlich ein Dorn im Auge des Leutkircher Wasserwirtschaftsamtes, man zog das Gesetz zu Rate und stellte fest, dass eine Abwasserentsorgung per Güllefass nicht zeitgemäß ist und geändert werden muss. Den juristischen Hickhack erspare ich dem Leser, denn Hünlishofen sah logischerweise überhaupt nicht ein, wieso man tiefbaukostenpflichtig eine Druckwasserleitung brauchte nur um das Abwasser korrekt abzählen zu können. Die Stadt verweigerte eine Abwasserleitungentsorgung ohne Zuwasser und zeigte Hünlishofen wegen Betreiben einer unkorrekten Entsorgungsmethode an. Hünlishofen gewann den Prozess, die Stadt musste die Abwasserleitung auf eigene Kosten legen und in jedem Haus Wasserzähler installieren um die Abwassermenge festzustellen. Zu diesem Zeitpunkt befanden wir uns bereits vor Ort und hatten lediglich die Abwasserkosten zu tragen, denn das Zuwasser gab es dank der schlitzohrigen Genialität des Landwirtes G. für fast umsonst.
Da wir von 'weither' kamen (25 km), war es angebracht, sich neu zu orientieren, was die Grundversorgung mit alltäglichen Notwendigkeiten von Zwei- und Vierbeinern anging. Eigentlich waren wir von unserem bisherigen Wohnort Neuravensburg recht verwöhnt. Die knapp 2000 Einwohner sind mit einem Bäcker, einem Metzger, einem kleinen Supermarkt und einer Apotheke versorgt. Es gibt einen Dorfdoktor, der auch mal ins Haus kommt, eine Grundschule und eine Sporthalle. Und man glaubt es nicht, eine kleine Postfiliale. Selbstverständlich auch eine Bank, aber die sind ja überall. Zwei Restaurants mit gutbürgerlicher Küche und eine Pizzeria sollten auch nicht vergessen werden.
Das alles mussten wir uns jetzt von unserem idyllischen Weiler Hünlishofen aus zusammensuchen, denn diese 30 Einwohner waren noch nie in der Geschichte des Ortes besonders verwöhnt worden. Das einzige öffentliche Gebäude ist eine Kapelle mit einer Grundfläche von knapp 100 Quadratmetern und 20 Sitzplätzen.
Und wenn wir schon das zwar idyllische, aber oft auch beschwerliche Landleben vorzogen, wollten wir auch die Vorteile genießen und uns nicht durch Produkte der Lebensmittelindustrie mit Konservierungs- und Streckmitteln kontaminieren lassen. Also machten wir uns auf die Suche nach den kleinen ländlichen Handwerksbetrieben, also zum Beispiel einem Bäcker, dessen Backstube sich noch hinter dem Laden befindet, und auf dessen Einkaufsliste für Rohstoffe keine Fertigbackmischungen Platz haben. Und der womöglich auch noch nach althergebrachter Methode den Brotteig auf natürlichem Weg säuert.
Es wurde ein Zufallsfund, denn ich wäre nie auf die Idee gekommen, in Diepoldshofen über die Achbrücke zu fahren und hinter dem Rathaus um die Ecke zu linsen um das dort stehende Einfamilienhaus angesichts der Schaufensterscheibe im Erdgeschoß überhaupt als Laden zu identifizieren. Aber eines Samstagmorgens, gerade mal um halb sieben, fuhr ich ganz vorsichtig auf der B465 in Richtung Leutkirch durch Diepoldshofen. Es hatte nachts geschneit und der Winterdienst war vorrangig mit der A96 beschäftigt, deshalb ‚vorsichtig‘. Und nur so hatte das Verkehrschaos vor und neben dem Rathaus eine Chance, von mir entdeckt zu werden.
Denn ich beschloss, MEINEM Verkehrschaos auf der Bundesstraße den Rücken zu kehren und über die Dörfer nach Hause zurückzufahren. Also bog ich an der Achbrücke ab und fuhr zunächst in Richtung Ortskern, und da sah ich zum ersten Mal den Eingang in das Ladelokal der Bäckerei Steinhauser und erkannte ihn auch eindeutig als Verursacher des Chaos im ruhenden Verkehr auf dem winzigen Stellplatz vor dem Haus und auf der OD. Und ich wollte doch nach Leutkirch, um dort in einer kleinen Altstadtbäckerei Semmeln zum Frühstück zu erstehen. DAS konnte ich demnach auch hier erledigen. Ich leistete also meinen Beitrag zum Verkehrschaos, stapfte durch den Schnee zur Tür, zog sie auf und erblindete schlagartig: Grauer Star in seiner extremsten Form infolge sehr hoher Luftfeuchtigkeit im Kontakt mit gut gekühlten Gläsern der Sehhilfe. Diese einfach abzunehmen brachte auch nichts, lediglich die Qualität der Blindheit verlagerte sich etwas.
Kurz gesagt, der Laden war brechend voll, was ein deutliches Signal für die Qualität der Frischprodukte dieser Backstube war, dies und der unwiderstehliche Duft von ofenwarmen Semmeln hießen mich Geduld zu üben und bei der Gelegenheit die vier Mädels hinter dem Tresen etwas in Augenschein zu nehmen. In der für alte Schwerenöteraugen nicht unattraktiven Uniform ihres Berufsstandes und des einheitlich straff zurückgebundenen Haares sahen sie eine aus wie die andere als wären sie Vierlinge. Ihre emsige Tätigkeit wirkte durchorganisiert und auf größtmögliche Effizienz hin rationalisiert, es gab keine Umwege und Rekursionen. Die Wünsche des Kunden bzw. deren Manifestationen wurden live verpackt, die Rechnung im Kopf aufaddiert und beim Zufalten der Tüte von Hand darauf notiert. Diese wanderte dann zur zentralen Kasse am Ende des Tresens, der Kunde tat gut daran, mitzuwandern um seinen Einkauf gegen Bares einzulösen. Möglicherweise auch gegen Vorlage einer EC-Karte, allerdings war damals, Anfang des Jahrtausends der Einsatz der einschlägigen Buchungsgeräte noch nicht allgemein Usus.
In recht kurzen Abständen öffnete sich die Tür in eine hellerleuchtete Dampfgrotte, in dem schemenhaft heftige Bewegung zu erkennen war. Aus dem Nebel erschien eine jüngere Ausgabe der ‚Vierlinge‘ mit einem Weidenkorb auf einer schmalen Schulter und kippte den Inhalt in das entsprechende Fach im Regal an der Rückseite des Verkaufsraumes, wo er weiter vor sich hin dampfte. Wie genau diese Frischwarenlogistik funktionierte war nicht zu ersehen, aber es fiel auf, dass NIE eines der Fächer leer wurde oder überquoll. Und es gab doch einige davon, die zu verwalten waren. Reissenden Absatz fanden natürlich die sogenannten Kaisersemmeln, die fast in jeder Region unserer Republik eine andere Bezeichnung tragen, sehr begehrt waren auch Seelen und das berühmte schwäbische Laugengebäck in Form von Brezeln, Hörnchen oder wiederum Semmeln. Jedes Weizengebäck hatte seine Entsprechung in Roggen und diese wiederum mit diversen Körnern kontaminiert, also Mohnsamen, Sesam, Dinkel, Kürbiskerne, Sonnenblumenkerne, wer will sie alle nennen.
Verführt vom Gesamteindruck empfahl ich, eine GROSSE Tüte zu nehmen, das Mädchen lächelte etwas ungläubig und zeigte mir das Format, dann aber, während des Befüllens nach meinen Wünschen wich der Unglauben, wir kriegten die 10 Liter-Tüte gut voll. Mir war klar, dass meine siebenköpfigen Raupen in Form von 2 heranwachsenden Kindern unter dem Eindruck dieses Frischeduftes ihren beiden Alten nicht viel davon übrig lassen würden. Aber es war ihnen vergönnt, sie mussten ja noch zulegen.
Mein Honorar war das gute Gefühl, die Versorgung der Familie infolge der kürzeren Strecke zwischen Hünlishofen und Diepoldshofen etwas preisgünstiger gestalten zu können, denn die Absatzpreise der Backwaren bewegten sich im üblichen Rahmen für solche Produkte. Damit meine ich den Wegfall des gängigen Tante-Emma-Dorfladen-Zuschlages. Man ist halt sparsamer Allgäuer und hat nichts zu verschenken.[verkleinern]
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