Kulmbach, mein Geburtsort, meine Wurzeln, meine Heimat, mein Bratwurstparadies.
Die Stadtverwaltung arbeitet einwandfrei und zu meiner vollsten Zufriedenheit. Sie hat problemlos die Geburtsurkunden der Gebrüder Gottschalk und auch meine hinbekommen und damals gab es noch nicht mal Laserdrucker. Also Hut ab.
Außerdem richtet die Stadtverwaltung jedes Jahr das Gregoriusfest aus, bei dem ich auch mal als Fahnenträger zusammen mit meinen großen Brüdern dabei war.
Sehenswert: Die... weiterlesen Plassenburg mit dem größten Zinnfigurenmuseum weltweit, der Bratwurststand in der Nähe vom Bahnhof, wo man die Bratwürste noch auf Holzkohle grillt (früher auch auf Butzlakü = Tannenzapfen), der Metzger Weiß, wo man sich die Bratwürste mitnehmen kann. Dort gibt es sie auch nciht in Plastik eingeschweißt, weil das den Geschmack verfälscht.
Wo ist HEIMAT, hüben, drüben, oder gar ‚dazwischen‘?
Was ist das Gegenteil von „drüben“? – Ganz einfach! Natürlich auch drüben. – Man muss sich das wie einen Fluss mit zwei Ufern vorstellen, auf der anderen Seite ist eben „drüben“ – immer. – Wenn jemand aber vom „anderen Ufer ist“, dann ist er nicht von „drüben“, sondern schwul, das hat er sich aber auch nicht ausgesucht.
Meine Mama kommt von drüben! Sie wurde in Schlesien geboren und musste von dort wegziehen. Sie hat dafür extra einen Ausweis bekommen (ohne Lichtbild) für Vertriebene und Flüchtlinge. Nummer 9115 / 112190. Dieser Ausweis war übrigens nur gültig in Verbindung mit einem gültigen Personalausweis. Welche Vorteile damit verbunden waren? Ich weiß es nicht. Einen Sitzplatz in der Trambahn hat man damit jedenfalls nicht bekommen, dafür musste man einen Schwerbeschädigtenausweis haben. Hatten nach dem Krieg viele, mein Papa auch, aber der ist nie Trambahn gefahren. Über zwanzig Jahre hatte meine Mama in Schlesien gelebt und dann ist sie mit meinen zwei großen Brüdern nach Bayern gezogen. Genau gesagt nach Kulmbach – heimliche Hauptstadt des Bieres, meinem Geburtsort – meiner Heimat – Fünf Jahre war Kulmbach meine Heimat, dann sind wir nach München gezogen, die Hauptstadt des Bieres, meiner neuen Heimat.
Bier durfte ich ja damals noch nicht trinken, aber Bratwürste durfte ich essen. Bratwürste waren mein Leben, ja, man kann sagen, ein Stück Heimat. Als mein Papa sagte, dass wir umziehen, musste er mir hoch und heilig versprechen, dass es in München auch Bratwürste gibt. Die Umzugskisten waren noch nicht ausgepackt, da bestand ich schon darauf, ein paar meiner heiß geliebten Bratwürste zu bekommen. Weil es nichts anderes gab, bestellte mir mein Vater in der Wirtschaft ein Paar Schweinswürst’l mit Kraut. Es schmeckte ekelhaft, weil anders, ich musste weinen und wollte nur noch heim. Aber das ging leider nicht. „Wir wären jetzt in München daheim – für immer“. – Ich bekam übrigens keinen Ausweis für Vertriebene und Flüchtlinge, obwohl ich auch gern einen gehabt hätte. – Die Welt ist eben ungerecht.
1961 wurde der „imperalistische Schutzwall“ gebaut – die Mauer. Sie trennte Ostdeutschland von Westdeutschland. Oma und Opa, Tante Dorle und Onkel Hans wohnten alle in der alten Heimat, bzw. jetzt ein Stück weiter weg in der Nähe von Görlitz. – Als ich 12 Jahre alt war, sind meine Mama und ich mit dem Zug in die Heimat gefahren. Ihre Heimat. Dort war ihr jetzt alles ganz fremd, sie erkannte zwar ihre Eltern wieder und auch ihre Schwester, aber ihre Heimat erkannte sie nicht mehr. – Wir blieben vier Wochen. Jeden Tag gab es von Oma Taschengeld. Fünf DM. Das Geld war ganz leicht und man konnte sich dafür nichts Vernünftiges kaufen. Es gab Eis. Aber das schmeckte ekelhaft, ungewohnt. Ich wollte kein Eis mehr. Erst als ein Jahrmarkt auf dem Dorfplatz eröffnet wurde, kam richtig „Leben in die Bude“. Omas Taschengeld wurde zum Auto-Scooter getragen. Jeden Tag fuhr ich mit Omas Fahrrad zum Rummel. Die Autos beim Scooter waren lahmer als unsere zu Hause und auch nicht so chic, aber das konnte man aushalten. Dass ich aber von den Söhnen des Bürgermeisters auf dem Hinweg und dem Rückweg mit Steinen beworfen wurde, weil ich von „drüben“ kam, machte mich sehr traurig. Dachte ich doch damals „drüben“ sei „drüben“. Ich verstand die Welt nicht mehr und wollte nur noch heim. Heim nach München.
Dort lebte ich viele, viele Jahre. Lernte die Welt beruflich und privat kennen, hatte aber immer meine Heimat im Herzen. Kulmbach und München. – Jahrzehnte später, nachdem ich innerhalb Münchens ein paar Mal umgezogen war, zog ich, inzwischen glücklich verheiratet, beruflich bedingt nach Kaufering. – Kaufering kannte ich von den Erzählungen eines Mitarbeiters, der jeden Morgen mit dem Zug nach München reinpendelte und abends pünktlich (!„Muss zum Zug“!) wieder nach Hause fuhr. Edgar hatte mein ganzes Mitgefühl, wie konnte man nur in Kaufering wohnen, wenn man München kennt? – Man kann, wenn man muss! – In Kaufering gab es ganz viele Vertriebene und Flüchtlinge aus Schlesien, die aber alle einen sehr glücklichen Eindruck machten. Meiner Mama hätte es sicherlich dort auch gefallen. Später zogen dann ganz viele Menschen nach Kaufering, die noch von viel weiter weg vertrieben wurden, die verstanden sich mit den Menschen aus Schlesien (nicht nur sprachlich) überhaupt nicht gut. Besonders die Jugendlichen bewarfen sich untereinander mit Steinen. Das kam mir bekannt vor. – Auf Dauer würde das nicht unsere Heimat werden – das war uns klar.
Im Jahr 2000 kauften wir uns in Windach ein Grundstück. Es war uns sofort klar. Hier bleiben wir. Für immer. Unsere neue Heimat. Hier wachsen unsere Kinder auf, die keine andere Heimat kennen. Und hier leben wir. Ich freue mich ein Windacher zu sein. Einmal im Jahr geht’s zum Saxenhammer zum Schafkopf’n. Die Aufregung und Vorfreude ist jedesmal groß, die Schlange der Wartenden lang. Name und Wohnort der Spieler muss in eine Liste eingetragen werden. Da Schafkopf’n ein urbayrisches Kartenspiel ist, ist natürlich auch das Umfeld zünftig bayrisch. „Wia hoast a?“ Untertitel: „Wie heißt er?“ Antwort: „Schaffhauser“ – „Wo kimmt a her?“ Untertitel: „Wohnort?“ Antwort: „Oberwindach“. „Ja eam schaug o, aus Oberwindach kimmt a. Der Zuagroaste. Wo kammat man dann mia her (Wo kemmat‘n mia her), wenn er scho aus Oberwindach kimmt?“ – Untertitel: „Sie als Vertriebener können nicht aus Oberwindach stammen!“ Antwort: Keine.
Ein Körnchen Wahrheit ist natürlich auch hier dabei. Heimat ist auch, was die Mitmenschen zulassen. – Jedenfalls ist Heimat ein gutes Gefühl. Man trägt es im Herzen und hat es immer dabei. Und man darf die Heimat, oder das, was man dafür hält, auch gegen städtische und bürokratische und unmenschliche Einflüsse verteidigen. Denn Windach ist zu schön, um daraus ein kleines München werden zu lassen.[verkleinern]
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