Ich brauche es ganz dringend … jetzt sofort. Bin schon ganz wuschig ob meines Verlangens. Ich halte es nicht mehr aus und will nicht mehr warten, nicht auf nächste Woche – wie es eigentlich geplant war – und nicht einmal auf morgen. Wenn ich es nötig habe, habe ich es nötig und jetzt ist es eben soweit. Das Wort Geduld steht sowieso nicht auf meiner Stirn.
Bei einem Bummel durchs AEZ bekomme ich diesen akuten Anfall, werfe einen Blick auf die Uhr, es passt.
Es ist mein Kopf,... weiterlesen beziehungsweise, das was darauf wächst oder besser wuchert, was mich in diese Situation bringt. Ich habe keinen Schnitt mehr in der Mähne, föhnen ist anstrengend, ich bin genervt und trage die Haare meist nur noch zusammengebunden.
Nun ist es mit dem Friseur wie mit dem Zahnarzt. Es eine Vertrauensfrage. Und manchmal sucht man ewig nach dem Künstler, dem man bedenkenlos seine Haartracht anvertraut. Nachdem meine langjährige Lieblingsfriseurin sich in die Elternzeit verabschiedet hatte, war ich mal hier und mal dort, selten unzufrieden, aber auch nie wirklich begeistert. In meinem Stadtteil gibt es zahlreiche Salons, ich war nicht in allen, schon gar nicht bei dem „Alles für 11 Euro“-Filialisten. Friseure verdienen ohnehin schon mies, die Geschäftspraktiken dieser Fließband-Ketten mag ich nicht noch unterstützen.
Ich habe also nichts zu verlieren und steuere einen der beiden anständigen Salons im AEZ an, leider haben sie dort so spontan keinen Platz für mich, verstehe ich auch. Jedoch habe ich mir die Idee jetzt aufs Haar gesetzt, praktisch als Krönchen oder zumindest als Diadem, und denke: Versuch macht klug – auf zu Marlies Möller.
Bei Marlies Möller war ich vor Jahren einige Male, doch die Preise sind eben der Hammer, nicht der preiswerte vom seligen „Praktiker“, sondern der vergoldete Hammer, der von Rolls Royce. Das tat einfach weh, zumal ich nichts Aufregendes wollte, und in dem Tempo in dem meine Haare wachsen … Andererseits war ich immer glücklich nach einem Besuch dort.
Ich stehe also vor dem Tresen, werde angelächelt und von der freundlichen Dame nach meinem Begehr gefragt. Sie schaut kurz im Plan nach und fragt: „Nur waschen, schneiden, stylen (so heißt das heute)? Keine Farbe?“
„Nein, keine Farbe.“
„Dann geht es jetzt sofort, Frau P. wird sich um sie kümmern. Bitte kommen Sie doch gleich mit.“
Uuui, da habe ich aber Glück gehabt.
Der edel in schwarz-weiß gehaltene Salon ist sehr groß, davon bekommt man jedoch nichts mit, denn hinter dem Empfang ist eine große weiße Trennwand und die Gänge rechts und links daneben lassen keinen Blick in das Innere des Geschäfts zu.
Die Dame nimmt mir die Jacke ab, verstaut sie sorgfältig in der Garderobe, hilft mir in einen schlichten, schwarzen Umhang, geleitet mich zu einem Platz und fragt nach meinem Getränkewunsch. Es ist erst kurz nach 11.00 Uhr, ich entscheide mich für einen Cappuccino, der mir von einer lieben Dame gebracht wird, die noch kleiner ist als ich.
Dann kommt Frau P. auch schon, stellt sich vor und fragt, was ich mir wünsche.
„In der Länge bitte weg mit dem was weg muss, vorn wieder anstufen, hinten die Masse weg.“
Worüber ich mich richtig freue ist, dass ich mich jetzt nicht absabbeln muss: Es erfolgt ungefragt keine Typberatung. Ich weiß nämlich durchaus, dass mir auch kürzere Haare stehen, ich bin ziemlich klein, da belastet die Haarlänge optisch auch gern den Oberkörper. Aber ich möchte sie zur Zeit nicht kürzer tragen – solange ich diesbezüglich sowohl Qualität als auch Quantität vorweisen kann, möchte ich auch etwas davon haben. Kürzere oder kurze Haare verschiebe ich auf später.
Das mögen aber einige Hairstylisten nicht hinnehmen und so geschah es immer wieder, dass ich ziemlich deutlich werden musste und „Stopp, es reicht!“ habe ich auch schon mal gerufen. Das ist immerhin mein Kopp! Bei Marlies Möller muss ich über mein Eigentum nicht diskutieren und das beruhigt ungemein.
Es wird trocken geschnitten, sicher und konzentriert. Frau P. vermittelt mir mit ihrer ruhigen Gelassenheit, dass sie genau weiß, was sie tut und zeigt mir vor dem Cut, wie viele Zentimeter runter müssen.
Zum Shampoonieren führt Frau P. mich in einen schwarz getäfelten Nebenraum, hinter dessen Kassettenfronten sich Einbauschränke für die Handtücher befinden, eine elegante Lösung.
Frau P. macht alles selbst, die anderen Damen, die hier tätig sind ebenfalls. Das mag ich. Verstanden habe ich es ohnehin nie, warum Auszubildende den ganzen Tag üben müssen, wie man Haare wäscht. Ich lehne mich auf den schwarzen bequemen Sesseln entspannt zurück und genieße. Dabei blicke ich auf ein ovales Oberlicht. Bisschen spacig – wäre die edle Kassettenverkleidung im Raum nicht gewesen, könnte man sich des Eindrucks, Captain Kirk würde gleich vorbeischauen, nicht erwehren.
Die „Giftküche“ zum Anrühren der Farben befindet sich gleich nebenan, hier wird viel gefärbt und tatsächlich lassen zahlreiche blondgesträhnte Damen sich hier auf Wunsch den „Hanseatinnen“-Look verpassen.
„Darf es eine Pflegepackung sein?“
Ich weiß, dass mein Haar eine solche nötig hat – da gibt es nichts zu leugnen. Also bejahe ich, obwohl ich mir den Preis schon vorstellen kann. Doch jetzt bin ich schon mal hier und es ist sowieso zu spät, um sich über die Rechnung Gedanken zu machen. Fünf Minuten muss das Zeug jetzt unter einem Handtuch einwirken, ich genieße auch das.
Frau P. spült danach gründlich und führt mich an meinen Platz zurück. „Wie hätten Sie es denn gern gestylt?“
„Bloß kein Gedöns, nicht Aufwändiges bitte.“
Sie grinst mich jetzt über den Spiegel an: „Aber ein bisschen Mühe darf ich mir doch schon geben?“
Ich lache zurück: „Klar, machen sie mal, wie Sie meinen.“
Und dann macht sie. Föhnt glatt, wickelt auf Rundbürsten, föhnt wieder glatt, dreht wieder auf riesige Rundbürsten, nachher habe ich fünf von denen am Kopf. Das sieht ziemlich bescheuert aus, deshalb bin ich auch sehr dankbar für die breite Trennwand, die mich vor neugierigen Blicken von außen schützt (Habe ich auch schon erlebt: Klopf, klopf an die Scheibe und da steht dann die nervige Mutter eines Mitschülers einer meiner Söhne und winkt mir fröhlich zu). Auch jetzt merke ich wieder, dass Frau P. sich ihrer Sache sicher ist.
Und das Ergebnis ist klasse. Ganz große Klasse! Und ich sehe auch nicht aus, als käme ich frisch onduliert vom Friseur. Ich sehe normal aus, aber viel besser als sonst und viiiel besser als in den letzten Jahren nach einem Friseurbesuch. Leichter, jünger, beschwingter.
Ich freue mich, was wiederum Frau P. freut.
Sie nimmt mir den Umhang ab, führt mich zur Garderobe, hilft mir in meine Jacke, geht dann mit mir an den Empfang zur Kasse, auch die Abrechnung tätigt sie selbst. Nun geht es ans Eingemachte. Ich sehe bei der Eingabe der Beträge, dass die Packung mit € 20,00 zu Buche schlägt … Auweia. Nicht erschrecken, € 111,00 werden aufgerufen. Aber ich verspreche, jeder Cent hat sich gelohnt.
PS: Als Miss Mini-234NCM später aus der Schule kommt, fragt sie sofort „Mami, wo gehst Du hin?“ Meine Söhne bemerken null, ebenso wie der Vater der Kinder, der am Abend kurz vorbei schaut. Männer – kennst Du einen, kennst Du alle! Doch am folgenden Tag bemerkt zumindest ein Angehöriger der männlichen Spezies die kleine, aber wirkungsvolle Veränderung. Auf diesem Wege bedanke ich mich bei ihm dafür. Sie sind vielleicht doch nicht alle gleich. ;-))[verkleinern]