Vor dem Begriff "Traditionsgasthaus" schrecke ich eigentlich zurück. Das riecht nach Stammtisch, Busparkplatz, Routineküche und Überleben trotz Ideenlosigkeit. Und dann auch noch im Glottertal, der Toristenschwemme dank Schwarzwaldklinik und Dr. Brinkmann...
Aber: Auf die Sonne trifft der Begriff im positiven Sinne zu!
Erstmalige urkundliche Erwähnung 1659, schon bald geht es hoch her: Ein Gast schlägt 1681 den Sonnewirt Martin Siegel "mit dem Liechtstock bluetrissig". Und auch 1849... weiterlesen fallen Gäste unangenhem auf: Mecklenburgische Soldaten trinken in der Sonne zu viel Wein und traktieren die Eichensäule mit dem Säbel - heute noch zu sehen im Gastraum.
Die Zeiten sind ruhiger geworden im beschaulich-romantischen Glottertal. Die Sonne liegt immer noch am oberen Ende des Tals (ja, kurz vor der Abfahrt zur Schwarzwaldklinik...) Es ist eigentlich unvorstellbar, das eine Gaststätte seit 1722 ununterbrochen im Familienbesitz steht, hier ist das so. Das mag auch das Verständnis der aktuellen Wirte, den Eheleuten Gertrud und Arndt Dilger erklären, die bereits ihre drei Kinder in den Betrieb integriert haben. Hier wird solide Gastfreundschaft professionell betrieben, das Unternehmen behutsam ausgebaut, ohne die Substanz anzugreifen oder zu verändern.
Das historische Gasthaus mit seinen niedrigen Holzdecken strahlt einen unwiderstehlichen Charme aus. Hier gibt es keine Brauhauseinrichtung "rustikal" von der Stange, jedes Möbel- und Einrichtungsstück erzählt eine eigene Geschichte. Vom Herrgottswinkel mit mittelalterlichen Glasmalereien, handgeschnitzten Hängelampen über den Tischen, antiken Kommoden mit Lüftelmalerei als Arbeitsplatz für Kasse und Besteck, einer umlaufenden Holzbank, der bereits erwähnten Eichensäule mit Schwertkerben zur funktional-musealen Theke - alles ist stimmig in der gemütlichen Gaststube.
Das gilt auch für das sehr aufmerksame und herzliche Personal, das jeden Gast persönlich begrüßt, zum (dringend vorzubestellenden) Tisch geleitet, die Garderobe betreut und dabei nie einstudiert wirkt.
Die Karte offenbart keine Haute Cuisine, sondern badisch-bodenständige Küche - allerdings mit gehobenem Anspruch. Wild aus eigener Jagd ist ebenso vertreten wie fangfrische Forellen, hervorragende Leberle und handwerklich solide Wiener Schnitzel . Anklang fand auch ein Cordon Bleue von der Pute sowie das saisonale Menu. Daneben wird ein täglich wechselndes Menu ebenso angeboten wie ein Fisch des Tages, für uns war dies ein hervorragendes Heilbuttfilet auf der Haut gebraten - perfekt zubereitet.
Die Weinkarte ist naheliegenderweise auf die heimischen Produkte konzentriert, bietet aber auch einen guten Blick über den Glottertäler Tellerrand hinaus.
Im Sommer lädt ein schön angelegter Garten zum Essen unter freiem Himmel ein, das enge Tal mit den steil aufragenden Hängen bietet dazu eine tolle Kulisse. Der Strassenverkehr dürfte dabei das Rauschen der Glotter leider meist übertönen.
Die Sonne bietet im separaten Gästehaus ausgesprochen geschmackvolle Zimmer zu akzeptablen Preisen (48 €/DZ) und - zurück zum Traditionellen - jeden Samstag Mittag echt badisches Ochsenfleisch vom Feinsten!
Hier wird Tradition im positiven Sinne gelebt, höchster Wohlfühlfaktor für den Gast.
Update November 2021:
Der Generationswechsel ist zwischenzeitlich vollzogen, Sohn Johannes schwingt souverän den Kochlöffel. Altbewährtes wurde behutsam modernisiert, die Karte enthält jetzt auch italienische und provencalische Akzente.
Neu ist auch ein Kiosk, in dem bis 22h kalte und warme Vesper nebst Getränken angeboten wird - natürlich auch zum Mitnehmen.
Tradition wird fortgesetzt, auch durch weiteren Nachwuchs…[verkleinern]