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Die Stadt Gera ist mit knapp 100tausend Einwohnern die drittgrößte Stadt im Freistaat Thüringen. Im Jahr 995 erstmals urkundlich erwähnt spielte die Stadt immer eine wichtige Rolle, sei es als Sitz derer zu Reuß über Jahrhunderte hinweg oder in der eher kurzen Zeitspanne, als man in der DDR Bezirkshauptstadt war.
Vorübergehend wohlhabend wurde man spätestens mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Besonders die Textilindustrie verhalf Gera zu einigem Reichtum.
Zeugen dieser... weiterlesen Vergangenheit gibt es im Stadtbild auch heute noch so einige, die Industriellen ließen sich damals markante Privatvillen und Geschäftsgebäude bauen.
Eine dieser Villen findet man am Geraer Stadtwald im Westen der Stadt.
Haus Schulenburg wird sie genannt und die Geschichte dazu geht so:
Im Jahr 1913 ließ der in Gera erfolgreiche Textilfabrikant Paul Schulenburg das Haus als privaten Wohnsitz errichten, 1915 war es bezugsfertig.
Beauftragt wurde kein geringerer als der belgische Architekt und Designer Henry van de Velde, auf diesen Gebieten ein Superstar seiner Zeit. Er schuf nicht nur das Projekt für das Gebäude, sondern entwarf gleich noch Inneneinrichtung und Gartenanlage.
Die Familie Schulenburg bewohnte das Haus selbst, immerhin waren fünf Kinder da und somit wurde der Platz gebraucht.
Paul Schulenburg erkrankte in den dreißiger Jahren und gab die Geschäftsführung seiner Firma daher an zwei seiner Söhne ab. Als er 1937 im Alter von 65 Jahren verstarb, wurden Haus und Grundstück unter den Erben aufgeteilt, was zumindest dem Garten und der dort befindlichen eigenen Gärtnerei nicht gut tat.
1946 erfolgte durch die sowjetische Administration die Enteignung und die Villa Schulenburg war zunächst Geschichte.
Ab 1951 betrieb die Stadt Gera in den Räumlichkeiten eine medizinische Fachschule, auf dem gelände wurde zudem ein Schwesternwohnheim erbaut. Die Inneneinrichtung ging in dieser Zeit leider zu großen Teilen verloren.
Mit dem Ende der DDR wurde die Schule geschlossen, das Gebäude verkam sichtlich in seiner Substanz und stand zum Verkauf. Erben waren entweder nicht mehr vorhanden oder stellten keine Rückgabeansprüche. Es wurden nun verschiedene Interessenten vorstellig, um Gebäude und Grundstück zu erwerben. Aber entweder kam es zu keinem Kaufvertrag oder die Vorhaben wurden vom Stadtrat abgelehnt.
1996 trat dann der aus heutiger Sicht absolute Glücksfall ein.
Der gebürtige Geraer Arzt Dr. Kielstein erwarb gemeinsam mit seiner Ehefrau das Anwesen. Dr. Kielstein betrieb damals in Magdeburg eine medizinische Einrichtung ( und tut dies bis heute mit über 80 Jahren immer noch ).
Ursprünglich wollte er im Haus Schulenburg eine Zweigstelle seiner Klinik einrichten, was allerdings wegen diverser Widerstände aus Politik und Wirtschaft nicht gelang.
Das Ehepaar hielt aber an dem Vorhaben fest, das Haus wieder in den ursprünglichen Zustand, wie es van de Velde damals errichtete, zu versetzen.
Mit großem Enthusiasmus , persönlichem Einsatz und der Bereitstellung von viel Geld, ein Teil davon durch Denkmalbehörde und anderer staatlichen Einrichtungen, gelang das Vorhaben.
Heute ist das Haus Schulenburg als Museum eine der vollständigsten Ausstellungen des Schaffens von Henry van de Velde. Nicht nur wurden die Räume weitestgehend in den Urzustand zurückversetzt, es gibt auch wieder Möbel, Bilder, Geschirr und Bestecke von damals zu bestaunen. Die Einrichtung wirkt so, als wäre Paul Schulenburg gerade mal mit Henry van de Velde zu einem Spaziergang durch den Garten unterwegs und könnte jeden Moment zurückkommen.
Alles ist stimmig, für Interessierte gibt es zahlreiches Bildmaterial und erläuternde Texttafeln.
Neben der Nutzung als Museum können hier Räume für private Veranstaltungen gemietet werden, ebenso finden Trauungen statt.
Ebenso genutzt werden kann der weitestgehend wiederhergestellte Garten. Lediglich die bereits in den späten 1930er Jahren angerissenen Gewächshäuser wurden nicht erneuert.
In Würdigung der umfangreichen restauratorischen Arbeiten und dem Erhalt dieses Gebäudes erhielten die Eigentümer 2012 den Thüringer und 2019 den Deutschen Denkmalschutzpreis.
Wenn man als Besucher das Glück hat, Herrn Dr. Kielstein ( die Ehefrau Prof. Dr. Kielstein ist leider schon verstorben ) im Haus anzutreffen, kann man so einiges über die Geschichte der Rekonstruktion der Villa erfahren. So gibt es interessante Begebenheiten zu einem hier ausgestellten Bild, welches für 3,7 Millionen Schweizer Franken versteigert wurde. Natürlich hängt hier nicht das Original, sondern eine hervorragend ausgeführte Kopie. Oder zur originalen Tür im Gartenhaus, die Dr. Kielstein zufällig an der Garage eines ehemaligen Bauarbeiters entdeckte und wieder ins Haus Schulenburg zurückholte.
Erfreulich ist, dass der Sohn von Kielsteins das Werk der Eltern fortführen will. Nur von den Einkünften aus Eintrittsgeldern, gelegentlichen Vermietungen und bescheidenen staatlichen Zuschüssen ist der Erhalt kaum dauerhaft zu leisten. Daher arbeiten Vater und Sohn an weiterer Vermarktung. Ebenso involviert ist die Ehegattin von Kielstein junior, die als
Wir zahlten für dieses wunderbare Stück Zeitgeschichte gern das Eintrittsgeld, Gebühr für Fotoerlaubnis und Parkplatzgebühr, insgesamt mag das für manchen vielleicht etwas hoch angesetzt sein. Das Geld kommt aber in vollem Umfange dem Haus zugute und ist somit bestens angelegt.[verkleinern]