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Heute eine kleine Geschichte von Tradition und Etikettenschwindel.
Es war im Jahr 1868, als im Dörfchen Kappel vor den Toren der Stadt Chemnitz der Landwirt Friedrich August Kupfer auf die Idee kam, neben der Tätigkeit als Bauer dieser noch ein "R" hinzuzufügen. Er errichtete kurzerhand die Feldschlößchen-Brauerei und noch im gleichen Jahr konnte das erste Lagerbier verkauft werden. Aus dem Bauer wurde ein Brauer.
Mit zunehmender Industrialisierung in den folgenden Jahren wurde die... weiterlesen Landwirtschaft zurückgedrängt, Grünflächen zugebaut. Es musste Raum für Fabriken geschaffen werden. Und Wohnhäuser, denn die Arbeiter sollten nahe ihrer Arbeitsstätten wohnen können, was ein stetes Bevölkerungswachstum zur Folge hatte.
Dies kam letztlich auch dem Bierabsatz zu Gute, die Feldschlößchen Brauerei wuchs und wurde 1889 "Feldschlößchen Brauerei AG zu Chemnitz Kappel".
Dies, obwohl Kappel immer noch ein selbständiger Ort war. Aber wer kannte schon Kappel, wo doch direkt nebenan die Großstadt Chemnitz lag ?
Das sollte sich bald ändern, denn auch die Stadt platzte bald aus allen Nähten.
Die ländliche Umgebung wurde nach und nach "überbaut", 1900 erfolgte schließlich die Eingemeindung von Kappel nach Chemnitz, man war nun Stadtteil geworden.
Einen Knick in der Erfolgsgeschichte der Kappler Brauerei gab es durch den ersten Weltkrieg, danach wurde erweitert und modernisiert. Neue Gärkeller, eigene Mälzerei, Gebäude für Flaschen- und Fassreinigungsanlagen ließen höhere Produktion zu. Der Bedarf war da, denn zahlreiche Gaststätten schenkten das Feldschlösschenbier aus, der Handel brachte Flaschenware an hauptsächlich Mann aber auch Frau.
Schlimmer in jeglichem Sinne war Weltkrieg 2, der bekanntlich nicht lange auf sich warten ließ. Es wurde zwar auch während der Kriegszeit mit den traditionellen Pferdekutschwerken Bier ausgeliefert, gegen Kriegsende kam allerdings durch die Bombennächte im Februar und März 1945 der Handel weitestgehend zum Erliegen. Die Brauerei selbst war zwar nur wenig betroffen, die nahe Innenstadt hingegen zu rund 80 % völlig zerstört. Von den vielen Toten gar nicht zu reden. Es fehlte nun auch ein großer Teil der ehemaligen Kundschaft.
In der Folge enteignete die sowjetische Besatzungsmacht die Brauerei zunächst, später wurde der Betrieb mit der Gründung des VEB Vereinigte Brauereien Chemnitz Süd verstaatlicht und 1953 gab es nicht mal mehr Chemnitz. Die Stadt wurde in Karl-Marx-Stadt umbenannt. Und die Brauerei in VEB Vereinigte Brauereien Karl-Marx-Stadt Werk II.
Über die Jahre der DDR-Zeit hinweg konnten stets gute Braumeister gewonnen und gehalten werden, die trotz Materialknappheit und mangelhafter Rohstoffe gute Biere brauten.
Irgendwann tauchte dann erstmal der Name Braustolz für ein Spezialbier auf, das es im "Delikat" , einer teuren Version des Lebensmittelhandels, zu kaufen gab. Ich erinnere mich noch heute mit Erschrecken an "Braustolz Spezial" 0,5 Liter Flasche für 1,28 DDR-Mark. Wohlschmeckendes Bier, mir bekam es aber leider nicht. Nach dem Umtrunk bekam ich von diesem Bier regelmäßig Kopfschmerzen.
Das Bier wurde übrigens bis an die Ostsee geliefert und es gab regelmäßige Exporte nach Ungarn. Balaton-Urlauber erinnern sich vielleicht daran.
Nach 1989 mit der Wende und dem Ende der DDR erfolgte die Umbenennung der Brauerei in Braustolz, denn die Ära der VEB und Kombinate war zu Ende.
Die Eigenständigkeit hielt allerdings nicht lange an, denn noch in den 1990er Jahren erfolgte eine Eingliederung in den Braukonzern Kulmbacher Brauerei Aktien-Gesellschaft. Genau genommen war man jetzt wieder im Kombinat, nur hatte das einen anderen, westlich/kapitalistisch klingenden Namen.
Immerhin wurde weiterhin an bekannter Stelle in Chemnitz-Kappel gebraut und abgefüllt. Die Produktpalette umfasste zahlreiche Biere wie Braustolz Pils, Spezial, Landbier, Lager, Kappler Braumeister, Kappler Festbier, Black Art, Bockbier, Radler und Diesel.
Der Stadt fühlte sich Braustolz stets verbunden. Das zeigte sich durch Sponsorentätigkeit für Sport- und andere Vereine, Unterstützung von Veranstaltungen in der Stadt und natürlich die Ausrichtung des beliebten Braustolz-Festes, was alljährlich tausende Besucher auf das Betriebsgelände zog. Unterhaltungskünstler traten auf und natürlich floß Bier in Strömen.
Traditionell wurde ebenfalls bei vielen Gelegenheiten die Pferdekutsche mit den großen Holzfässern zum Einsatz gebracht.
Ich selbst trinke inzwischen längst wieder Braustolz-Bier. Viel bessere Zutaten als zu DDR-Zeiten sorgen dafür, dass Kopfschmerz nach Biergenuss kein Thema mehr ist.
Braustolz Pilsner und Kappler Haustrunk sind meine Favoriten, soll es mal weniger Alkohol sein, schmeckt Braustolz Grapefruit ( ein Radler mit Grape-Gechmack) erfrischend und sogar meine Frau begeistert sich für Braustolz - nämlich beim Genuss von Doppel-Caramell.
Alles bestens also, könnte man meinen. Braustolz gehört zu den größeren Brauereien im Stadtgebiet, die Marke ist beliebt, die Qualität und Auswahl einwandfrei.
Wäre da nicht der Etikettenschwindel, auf den ich ganz am Anfang verwies.
Dieser begann im Jahr 2013 schleichend, denn ab da wurde das in Chemnitz gebraute Bier nicht mehr am Ort abgefüllt, sondern mit Tankwagen nach Plauen gefahren und in der dortigen Sternquell-Brauerei in Fässer und Flaschen abgefüllt. Sternquell gehört , man wundert sich nicht, ebenfalls zur Kulmbacher Brauerei AG.
Zwei Jahre später machte ein Gerücht von baldiger Schließung der Braustolz-Brauerei die Runde. Und wie es mit Gerüchten so ist, ein wenig Wahrheit wohnt den meisten inne. Dieses sollte sich bestätigen.
Im Jahr 2017 wurde weitestgehend stillschweigend der Braubetrieb in Kappel eingestellt, es gab nur wenige Meldungen in der Presse, die knapp darüber berichteten.
Wieso gibt es dann trotzdem noch Braustolz-Bier , laut Etikett mit Adresse in Chemnitz, zu kaufen ?
Weil ein kleiner Teil der Verwaltung noch am angestammten Ort ansässig ist. Der größte Teil der sonstigen Anlagen wird abgerissen, das Gelände zur Wohnbebauung vorbereitet.
Und das Bier ? Es kommt jetzt nicht nur abgefüllt aus Plauen, sondern wird auch direkt dort im Vogtland bei Sternquell gebraut. Freilich nach den Rezepturen aus Chemnitz und unter Leitung des Chemnitzer Braumeisters.
Für mich - Etikettenschwindel.
Zumal auf der Homepage von Braustolz mit keinem Wort erwähnt wird, das Chemnitzer Braustolz-Bier gar nicht mehr aus Chemnitz kommt, obwohl als Adresse "Am Feldschlösschen 18, Chemnitz" angegeben ist. Wahrscheinlich der letzte Rest Tradition.
Etwas mehr Offenheit und Ehrlichkeit in Sachen Brauort der Braustolz-Biere stände dem Unternehmen gut zu Gesicht.
Neueste Gerüchte besagen, dass Braustolz in den nächsten Jahren peu a peu in den Produkten von Sternquell auf- bzw. untergehen wird, die Marke Braustolz damit wirklich verschwindet.
Ein Gerücht nur, aber wie schon gesagt, ein wenig Wahrheit....[verkleinern]