Berliner Bär mit Dreifach-Wumms
Bärensiegel, schon mal gehört? Nein? Ich früher auch nicht. Und Wurzelpeter oder Pfeffi? Die Berliner vielleicht, die aus dem Osten wahrscheinlich: Kult-Schnäpse in der DDR und heute die bekanntesten Produkte der alten Destillerie-Marke mit wechselvoller Geschichte.
Städte und Alkohol gehören historisch zusammen - hier rauschende Feste der Reichen mit Champagner und faßgereiftem Weinbrand für Genuß und Prestige, dort Eckkneipen der Armen mit billigem Bier... weiterlesen und Schnaps für Frohsinn und Vergessen. In den 1930ern zählte Berlin 4 Millionen Einwohner und 200 Schnaps- und Likörhersteller. Die Konkurrenz war groß, denn Hochprozentiges war hochprofitabel, daher betrieben die Destillen eigene Likörstuben.
Nach dem Krieg gab es zwar viele Sorgen, aber wenig Likör, höchstens Schwarzgebrannten. Viele Industrieanlagen waren zerstört, darunter auch Brauereien und Brennereien, deren Wiederaufbau nicht vorrangig war. Die verschiedenen Fabrikationshallen von Bärensiegel, alle im Ostteil der Stadt, überstanden den Krieg einigermaßen unbeschadet und nahmen die Produktion bald wieder auf. Der VEB Berliner Bärensiegel war sehr erfolgreich, in seinem letzten Jahr 1989 betrug der Ausstoß aller Standorte 26 Millionen Flaschen.
Nach der Wiedervereinigung wechselte der Vorzeigebetrieb mehrfach den Besitzer, nur wenige Produkte überlebten. Zwei davon, Wurzelpeter und Pfeffi, werden heute durch die kleine Firma Bärensiegel in Alt-Treptow vertrieben, dahinter steckt allerdings die Großbrennerei Nordbrand (und dahinter Rotkäppchen).
Wurzelpeter ist ein Magenbitter in zwei Stärken, weder zu süß noch zu bitter, daher kommt er bei Likörliebhabern und bei Schnapstrinkern gleichermaßen an. Erfolgreich ist er nicht nur als Ostalgie-Getränk, sondern vor allem weil er den Siegeszug des West-Pendants Jägermeister nachahmte: beide wandelten sich vom Opa-Rachenputzer zum Hipster-Drink. Und zwar nicht nur in good old Germany, auch im coolen Amerika und erst recht im noch cooleren Fernen Osten. Als ich im Saigon der 2010er mit Geweih-auf-orange-Merch-behängte Yuppies sah, staunte ich nicht schlecht. Wurzelpeter schmeckt ebenfalls weltweit. Mir allerdings nicht.
Ähnlich verlief die Geschichte des Pfefferminzlikörs Pfeffi, dem zweiten Ost-Kultgetränk von Bärensiegel. Diese Erfindung der Nachkriegs-DDR begeisterte plötzlich die Jugend in der ganzen Republik, Pfeffi wurde Teil der Clubkultur. Auch hier muß ich passen, Minze ist für mich als Tee okay.
Dafür schmeckt mir das jüngste Bärensiegel-Destillat umso besser, der Humboldt-Gin. 2019 zum 250. Geburtstag des Weltreisenden Alexander von Humboldt erschien diese vom Museum des Botanischen Gartens zu Berlin angeregte Kreation der Spreewood Distillers. Mein Lieblings-Gin! Würzig-pfeffrige Botanicals auf smoother Grundlage, Wacholder und Zitrone harmonisch eingebunden, kein bißchen süß - umwerfend, am besten pur. Das Geheimnis sind die einzigartigen Pflanzen, die aus Humboldts Herbarium seiner Südamerika-Reise ausgewählt wurden. Fünf Sterne für den Gin![verkleinern]