Ich glaube, es gibt in Berlin kein anderes Gebäude, daß in seiner Geschichte von den jeweils Herrschenden so instrumentalisiert wurde und wird wie die Neue Wache in Berlin-Mitte. Seit 1818 ist sie Gedenkstätte, zunächst für die preußischen Gefallenen der Napoleonischen Kriege, dann für die Toten des 1. Weltkrieges, später für die „Helden der nationalsozialistischen Bewegung“, in der DDR war sie „Mahnmal für die Opfer von Faschismus und Militarismus“ und im wiedervereinten Deutschland wurde sie... weiterlesen schließlich „Zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“.
Erbaut wurde die Neue Wache neben dem Zeughaus an der Straße Unter den Linden von 1816 bis 1818 auf Veranlassung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. nach einem Entwurf von Karl Friedrich Schinkel als Wachhaus für die Königswache des Berliner Stadtschlosses und als Gedenkstätte für die Gefallenen der Befreiungskriege. Der erste Wachaufzug fand 1818 aus Anlaß des Besuchs von Zar Alexander v. Rußland statt. Bis zum Ende der preußischen Monarchie blieb das Gebäude Haupt- und Königswache sowie Gedenkstätte.
1931 wurde die Neue Wache von Heinrich Tessenow im Innern grundlegend umgebaut und erhielt den heute noch vorhandenen zentralen großen Gedenkraum, in dessen Zentrum ein 2 m hoher Sockel aus schwarzem Granit mit einem Eichenkranz aus Silber mit Gold- und Platinauflagen des Bildhauers Ludwig Gies stand. Die Neue Wache war nach dem Umbau „Ehrenmal der Preußischen Staatsregierung“ für die Gefallenen des 1. Weltkrieges.
Im III. Reich blieb die Neue Wache Gedenkstätte. Die Nazis nutzten sie als Ort für ihre Veranstaltungen am „Heldengedenktag“. Am Ende des 2. Weltkrieges war die Neue Wache durch die Kämpfe in Berlin stark zerstört.
Von 1957 - 1960 ließ die DDR-Regierung das Gebäude wieder aufbauen und als „Mahnmal für die Opfer von Faschismus und Militarismus“ einweihen. 1969 erfolgte eine weitere Umgestaltung. Der Granitblock von 1931 wurde entfernt und durch ein Glasprisma mit Ewiger Flamme ersetzt, unter dem die Urnen eines unbekannten Soldaten und eines unbekannten KZ-Häftlings beigesetzt wurden.
Nach dem Ende der DDR war das Schicksal der Neuen Wache als Gedenkstätte zunächst unklar. Auf Anregung von Bundeskanzlers Kohl wurde die Neue Wache am Volkstrauertag 1993 als neue „Zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland“ in der Bundeshauptstadt Berlin eingeweiht. Das DDR-Staatswappen an der Wand war entfernt worden und das Glasprisma mit der Ewigen Flamme wurde durch eine Pietà (nach der Skulptur „Mutter mit totem Sohn“ von Käthe Kollwitz) ersetzt.
Eines blieb der Neuen Wache in den 195 Jahren ihrer Geschichte immer erhalten – nämlich militärisches Zeremoniell. Marschierte zur Einweihung noch das preußische Alexander-Regiment auf, waren es später Soldaten preußischer Garderegimenter als Wachen für Kaiser und König, dann Soldaten der Reichswehr, gefolgt von Kompanien der Wehrmacht. Die DDR ließ Angehörige des NVA-Wachregiments Berlin „Friedrich Engels“ täglich Wache am Ehrenmal stehen und zelebrierte 1x pro Woche einen großen Wachaufzug in bester preußisch-deutscher Militärtradition mit Musikkorps und Stechschritt. Heute stellt das Wachbataillon der Bundeswehr am Volkstrauertag eine Ehrenwache.
Die Neue Wache ist eines der Hauptwerke des Klassizismus in Berlin. Den Eingang bildet der Portikus mit dorischen Säulen. Im Giebelfries ist ua. die Siegesgöttin dargestellt. Der Fries ist übrigens aus Zinkguß, der mit einem sandsteinimitierenden Anstrich versehen ist. Damit vermittelt der Fries den Anschein, er sei eine Bildhauerarbeit aus Sandstein.
Die Neue Wache wurde ursprünglich von den Marmorstandbildern der preußischen Generäle Scharnhorst und Bülow flankiert. Diese von Daniel Christian Rauch geschaffenen Standbilder wurden auf Anweisung Ulbrichts 1951 wegen den Weltfestspielen der Jugend entfernt. Nach hinten versetzt wurde das Scharnhorst-Standbild 1964 wieder aufgestellt. Der Plan, das Ensemble der Neuen Wache mit den beiden Generalsstandbildern 1990 wieder herzustellen, scheiterten aber an einer Vereinbarung von Kanzler Kohl mit den Kollwitz-Erben, die vorsah, die Generäle nicht in der Nähe der Kollwitz-Pietà aufzustellen. Heute stehen die Standbilder von Scharnhorst, Bülow, Gneisenau, York v. Wartenburg und Blücher auf der anderen Straßenseite gegenüber der Neuen Wache.
Gedenkstätten sind zweifellos als Orte des Erinnerns und Gedenkens wichtig. Ich habe persönlich ua. die Kriegsgräberstätte Waldfriedhof Halbe (siehe dort) und den Soldatenfriedhof Douaumont bei Verdun besucht. Die Eindrücke dort waren angesichts endloser Grabfelder viel tiefer und beeindruckender und bedrückender als die doch etwas seelenlose Neue Wache. Aber das ist mein ganz persönlicher Eindruck. Andere mögen anders empfinden.[verkleinern]