Wieder mal ein Bäcker und zwar einer mit Anspruch, eine "Top Bewertung" sozusagen.
"Zeit für Brot" nennt sich die Bäckerei von Bäckermeister und Betriebswirt Björn Schwind in Frankfurt am Main. Ich hatte vom besonderen Design vor ein, zwei Jahren in einer Design-Zeitschrift gelesen, aber Bäcker in Frankfurt sind mir zu fern. Im Nachbarportal streiten sich die Geister ob der Qualität und des Preises.
Der Anspruch "das beste Brot der Stadt" zu backen und ein aktuelles Erscheinungsbild,... weiterlesen jenseits von Bäcker-Rot und -Gelb, sollen zum Gesamterlebnis Bäckerei verschmelzen.
Ein großes Ziel, das seit einigen Wochen auch in Berlin angestrebt wird. In einem Lokal, das vorher mal der "berühmte" Italiener Cantamaggio war, wurden eine gläserne Backstube und ein offenes Café gebaut. Die Gegend in Mitte ist irgendwie exterritorial und wird durch die Gäste aus den zahllosen Hostels und Designhotels geprägt. Dem Turm zu Babel gleich ist Deutsch nicht mehr die privilegierte Umgangssprache. Das Scheunenviertel gleich hinterm Alex war das Altberliner Viertel mit engen Gassen und Zuwanderern, vor allem aus dem Osten. Dieses Armeleuteviertel, das zum Teil noch die Bebauung des 19.Jahrhunderts hat, wird seit 20 Jahren vor dem Verfall gerettet und chic gemacht.
Da die Population eh vollständig ausgetauscht ist und die Eigentumswohnungen zu gehobenen Mitte-Preisen verkauft werden, fällt das Fehlen von Läden des normalen täglichen Bedarfs nur wenigen auf. Markenklamotten, Schuhe und Design gibt es en masse, Cafés und Restaurants sowieso. Bäcker und Fleischer nur an den Rändern.
Deshalb ist "Zeit für Brot" nur herzlich zu begrüßen, denn es ist mehr als ein Café, es ist irgendwie auch ein Bäcker zum Brot und Brötchen holen. Auf den Bäckertüten gibt es einen schönen Text "Unsere Freunde, die Schnecken" der die Schneckengeschwindigkeit zum Vorbild für das eigene Tun erklärt. Auch neue Schnecken sind dabei entstanden, Schokoschnecken, Zimtschnecken und, und, und auch pikante Schnecken. Das wird meinen lieben Ganderkeseeer freuen.
Heute war ich dort, zum probieren. Die Parkplatzbewirtschaftung hat es geschafft dass während des Tages auch mal dort geparkt werden kann, wenn man es sich denn leisten mag. Der Laden ist von außen nicht als solcher zu erkennen, das kleine Werbewürfelchen und die schwarzen Markisen schreien nicht: Bäcker. Junge Leute frühstücken auf dem Gehweg vor der Tür, die Fenster sind völlig ofen, alles transparent und luftig. In der gläsernen Backstube hinten ist am Vormittag gerade nichts los ...
Die beiden Verkäuferinnen agieren flott und multiglott. Die großen Brote im Brotregal sehen gut aus, die Schnecken als Blechkuchen auch. Die "geschmierten" Stullen liegen zum Teil als Klappstulle verpackt in der Auslage. Letztere nicht wirklich antörnend, aber es kommt ja auf den Inhalt an. Die Salami- und die Käse-Klappstulle für jeweils 2,60 €, die einfache Frischkäse-Kastenbrot-Stulle für 1,90€, nicht schlecht.
Meine Salami-Stulle schmeckte vor allem nach der eingelegten Gurke, die den Belag dominierte, zusammen mit dem Frischkäse als "Streichfett" hatte das Brot kaum eine Chance, die Salami auch nicht. Vielleicht hätte ich lieber die Käsestulle nehmen sollen. Der Aprikosen-Quark-Kuchen für 2,90 war ganz gut, aber natürlich auch gut bezahlt. Die Zimtschnecke für meinen Geschmack zu zimtig, da lob ich mir meine schwedischen Kanelbullar.
Milchkaffee für 2,90 und normaler Kaffee, hier Cafe Americano genannt, für 2,20 waren einwandfrei, nichts zu meckern.
Das vom großen Leib geschnittene Mischbrot 80% Roggen, 20% Dinkel hat einen Kilopreis von 4,90, die meisten anderen Brote von 5,60 €, damit sind sie im obersten Preissegment dieser Stadt und müssen sich mit einigen Mitbewerbern messen. Für die Süddeutschen gibt es ein paar hundert Meter weiter die Münchner Hofpfisterei und dann natürlich Butter Lindner, Brot&Butter by Manufactum, BioBackHaus, Beumer&Lutum, an anderen Stellen der Stadt.
Meine Tranche vom großen Laib ließ sich nur sehr schwer zu Stullen schneiden, aber das ist das Problem aller Stücke von großen Broten. Die Kruste war kräftig und angemessen scharf gebacken, die feinporige Krume am Abend noch saftig und ließ sich gut schmieren. Der Geschmack gut, aber keinesfalls herausragend, mir etwas zu gewöhnlich ohne echten Sauerteiggeschmack und die 20 Prozent Dinkel sind natürlich nicht herauszuschmecken. Ein Brot das mit allen Belägen funktioniert, aber nur mit Butter drauf mir zu nüchtern schmeckt. Am zweiten Tag ist es schon deutlich trockener, es ist kein Brot das sich eine Woche lang entwickelt und reift.
Ich habe den Genuss mal über drei Tage gestreckt. Das Brot war trotz vorbildlicher Lagerung, dann sehr trocken und uninteressant im Geschmack. Also, das Brot kann man sich dann auch scheibchenweise kaufen, es ist zum sofortigen Verbrauch.
Für den Apothekerpreis gibt es in Berlin viel besseres, da wird "Zeit für Brot" seinem Anspruch auf das beste Brot der Stadt in meinen Augen nicht gerecht.
Fazit: "Zeit für Brot" ist ein interessantes Café in Mitte, wo Touristen frühstücken können und die Leute aus den Agenturen rundherum mal eine Pause machen, offener WLAN ist selbstverständlich. Auch wer in der Nähe wohnt kann sich, so er es bezahlen will, mit Brötchen und Brot versorgen. Von weiter her anreisen lohnt nicht, es ist nicht so besonders wie geplant. Ich würde mich immer im VIV in der Schönhauser Allee 10, nur 300 Meter weiter, mit Backwerk versorgen.
Ein Nachteil der programmatischen Transparenz ist natürlich, dass der Gast auch die hinten vor der Glastür zur Backstube rauchenden Verkäuferinnen sieht.
Zum Anspruch und zum Design gibt es hier was: http://tinyurl.com/746pu3j
Nachtrag:
Beim zweiten Besuch habe ich das Käsebrot und ein Stück Kirsch-Schmand-Kuchen gegessen.
Das Käsebrot, trotz der markanten Gurke, war gut, mehr nicht. Der Kuchen zu trocken, kaum Kirsche, kaum Schmand (in Form von Quark) und viel zu teuer. 2,90 € für so ein kleines Stück grenzt in meinen Augen an Wucher, aber wenn die Touristen das klaglos zahlen ist wohl alles gut.[verkleinern]